Was dir Dominic Thiem über emotionale Stärke verraten kann

Marco Kühn
von Marco Kühn

Als Sportmentaltrainer ist es für mich immer interessant herauszufinden, was in den Köpfen der Spieler passiert. Es zeigt sich immer wieder, dass auch die charakterliche Entwicklung des Spielers Einfluss auf die sportlichen Leistungen hat.

Ein sehr aktuelles Beispiel ist Benoit Paire. Der Franzose scheint nach Jahren der emotionalen Kindheit endlich seinen Charakter auf dem Platz gefunden zu haben.

Ein anderer Spieler, der bereits wesentlich erfolgreicher unterwegs ist, hat diesen Schritt schon früher vollzogen. Auch wenn Dominic Thiem mittlerweile seinen Trainerposten neu besetzt hat: Günter Bresnik hat einen vorbildlichen Spieler geformt.

Dies gilt nicht nur für die spielerischen Mittel, die Dominic auf dem Platz zeigt. Auch charakterlich ist Thiem im wahrsten Sinne des Wortes 'groß' geworden.

Lass uns einen Blick auf den jungen Österreicher und seine Geschichte der emotionalen Stärke werfen.

Bei unseren Vorfahren lief alles noch ein bisschen anders.

Da haben sich die Frauen den Männern angeschlossen, die für Sicherheit und Schutz sorgen konnten. Ein Mann, der vor einem Säbelzahntiger davonläuft, kreischt und seine emotionale Kontrolle verliert, war verpönt.

Keine Frau hätte solch ein, pardon, Weichei, an ihre Seite genommen.

Bereits damals war emotionale Kontrolle entscheidend für das Überleben. Angsthasen hatten in der Wildnis keine Chance. Auch wenn es um Leben und Tod ging, mussten die Menschen ruhig bleiben, scharfsinnig nachdenken und die bestmöglichen Entscheidungen auf Grundlage der aktuellen Situation treffen. Da kommt auch schon der Bogen zum Tennis um die Ecke. Auch auf dem Court, in der Hitze des Gefechts, ist Ruhe und analytisches Denken unter Stress wichtig für den Erfolg.

Im Viertelfinale der US Open 2018 stand Dominic Thiem keinem Säbelzahntiger gegenüber. Es war noch schlimmer.

Rafael Nadal.
Night-Session.
Arthur-Ashe-Stadium.

Wer als Tennisspieler die ultimative Herausforderung braucht, der hat sie in dieser Konstellation gefunden.

Ich erinnere mich noch, wie Dominic im Finale der French Open gegen Rafael Nadal gegen Ende des ersten Satzes eben diese emotionale Kontrolle verlor. Domi spielte bis dahin grandios. Aber dann, zwei Minuten lang, waren seine Emotionen Herr über den weißen Babolat-Schläger. Es war beim Stand von 4:4.

Dominic Thiem und dieser fiese Smash

Bei den French Open hatte man nie das Gefühl, dass Dominic gewinnen konnte. Genau diese Emotion strahlte er damals aus. Das mag auch an den Umständen gelegen haben.

Paris.
French Open.
Rafael Nadal.

Das sind nicht die besten Aussichten auf einen Erfolg. Aber es war auch die Körpersprache von Dominic Thiem, die bei den US Open 2018, im Viertelfinale, ganz anders aussah. Stichwort: Mindset.

In New York sah man einen anderen, einen erwachsenen Dominic Thiem. Da kam ein grimmiger Blick, rüber zum Rafa – auch in kritischen Situationen. Da blieb Dominic ruhig, als er gegen Ende des Matches bei eigenem Aufschlag ein 0:40 auf der Anzeigetafel erblickte. Bis zum Smash bei Matchball Nadal im Tiebreak des fünften Satzes hatte er sich und seine Emotionen beisammen.

Was geht einem Spieler bei einem Smash durch den Kopf? Bei Matchball gegen sich?

Das Fiese ist, dass man verdammt lange Zeit hat, um nachzudenken. Der Ball ist lang in der Luft. Die Nerven sind eh schon auf Hochspannung. Der Druck, etwas Besonderes spielen zu müssen, ist enorm. Und dann kommt man noch in die, sorry, beschissene Situationen, einen Überkopfball bei Matchball spielen zu müssen.

„Spiel ich den Überkopfball jetzt mit Slice und sicher oder geh ich voll drauf?“

„Verdammt, wo steht Rafa? In welche Ecke wird er sich bewegen?“

„Hab ich den Schläger richtig im Rücken? Mist. Hoffentlich stimmt das Timing!“

„Ball anschauen. Ball anschauen. Nicht verkrampfen. Das Ding muss sitzen!“

Und zack.

Dann ist die Filzkugel auch schon im Aus.

Dominic Thiem – ist angekommen

All das spielerische Potenzial, das Talent, die knallharten Trainingseinheiten, kann sich auf dem Platz nur entfalten, wenn die emotionale Reife vorhanden ist. Dies ist ein Durchbruch auf einem anderen Level. Ein Durchbruch, der die Nummer 15 von der Nummer drei der Welt unterscheidet.

Was sind Eigenschaften von emotionaler Reife auf dem Platz? Es ist zunächst die geistige Klarheit in kritischen Momenten. Man hetzt nicht durch seine Gedanken, man sucht ruhig nach Lösungen.

Man macht nicht äußere Umstände für seine aktuelle Situation auf dem Platz verantwortlich, sondern ausschließlich sich selbst. Positiv wie negativ.

Man zeigt dem Gegner keine Schwäche. Weder durch ewige Diskussionen mit sich selbst, noch durch seine Körpersprache.

Man lässt sich von einer starken Phasen des Gegners oder einer eigenen schwachen Phase nicht von seinem Plan und seiner Überzeugung abbringen.

Man besitzt Selbstvertrauen. Auch wenn das aktuelle Matchgeschehen keinen Anlass zu Selbstvertrauen gibt.

Dominic Thiem ist in den letzten Jahren emotional gereift. Seine Leistung gegen Rafael Nadal, die wahrscheinlich beste Leistung seiner bisherigen Karriere, bestätigt dies.

Marco Kühn
Marco Kühn
Marco ist an der Grundlinie groß geworden und ehemaliger Jugendranglistenspieler. Heute hilft er mit seinem Blog Clubspielern besser Tennis zu spielen. Er schrieb bereits für tennisnet.com, tennisMAGAZIN, Tennis-Point und den Focus.

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