Bis der Eisberg kommt: Die Entartung des Trainerwesens und was Sie dagegen tun können

von

Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit.

– Bismarck

Bevor Sie diesen Beitrag lesen, möchte ich Sie bitten, sich einen Moment zu nehmen und darüber nachzudenken, was für Sie der Begriff „Trainer“ bedeutet. Woran erkennt man einen Trainer? Was für Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale muss ein Trainer mitbringen? Was sind seine Aufgaben?

Es war im Juni 2011, als ich folgendes Szenario vor mir sah: Ein Mann mittleren Alters im Trainingsanzug stand am Rande eines Tennisplatzes und führte ein offensichtlich heiteres, persönliches und minutenlanges Gespräch an seinem Handy, während im Hintergrund ein etwa 12-jähriger Junge verzweifelt versuchte, einen Aufschlag ins Feld zu spielen. Er veränderte seinen Ballwurf, er probierte, seinen Tennisschläger anders zu halten, stellte sich unterschiedlich hin: Er ließ nichts unversucht, um besser zu werden. Wie sich herausstellte – und das wird sie an dieser Stelle leider nicht sonderlich überraschen – handelte es sich bei dem Mann mittleren Alters um seinen Trainer.

Deckt sich diese Situation mit ihrem Bild von einem Trainer?

Ein Begriff, den ich an dieser Stelle einwerfen möchte, ist „Lernumgebung“, denn das sollte ein Trainingsplatz im Optimalfall darstellen. Für mich ist es elementare Aufgabe eines Trainers, eine möglichst optimale Lernumgebung für seine Spieler zu schaffen: Einen Ort, wo Zielstrebigkeit, Verbesserungswille, Kreativität und auch Spaß dominieren, um Fähigkeiten und Fertigkeiten bestmöglich zu entwickeln. Die Realität sieht weit verbreitet leider anders aus. In einer „Lernumgebung“, in der vielerorts Aufschlagtraining für den Trainer Individualpause bedeutet, und in welcher jugendliche Sportler als „Kunden“ bezeichnet werden, steht es außer Frage, dass irgendwo in der Entwicklung etwas schief gelaufen ist. Die Tatsache, dass dies scheinbar schon immer so gewesen ist, erteilt diesem Zustand jedoch nicht die Legitimation, die sich die Verursacher der Entwicklung wünschen würden.

An dieser Stelle müssen wir Ursache und Wirkung trennen.

Aus Trainersicht kann man folgende Ursachen festhalten: In den Tennisclubs hat man zumeist mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die 1-2 Mal wöchentlich zum Training kommen. Bei der Trainingshäufigkeit ist von vornherein eindeutig, dass aus diesen Heranwachsenden keine Profis werden, zumal für die meisten eher der Spaß im Vordergrund steht. Solange sie also Spaß haben, ist die Traineraufgabe erfüllt, oder? Was hierbei entsteht, ist eine eindimensionale Herangehensweise an die berufliche Pflicht. Haben wir ein Kind, für das eine
Entwicklung zum Profi nicht möglich ist, lassen wir umgehend den Leistungsgedanken beiseite oder zumindest rücken wir ihn sehr weit in den Hintergrund.

Ihnen werden bei dieser Darlegung zwei Wörter eventuell bereits auf der Zunge liegen: Breiten- und Leistungssport. Und genau diese Unterscheidung ist fatal. Ein Trainer sieht einen Spieler mit deutlich eingeschränkter Leistungsfähigkeit und verbindet damit sofort den Gedanken
„Breitensport“. Dabei vergessen wir, dass alles eine Frage des Trainings ist: Mangelnde Koordination durch schlechten Schulsport, unfähiger vorheriger Trainer, spätes Einstiegsalter etc. sorgen dafür, dass ein Kind in eine Schublade gesteckt wird und mit weniger Einsatzbereitschaft trainiert wird. Die stereotype Klassifizierung in Breiten- und Leistungssport ist Hochverrat an die Sportart selbst und Schubladendenken ist in jeder Weise der einfachste Weg aus der Verantwortung.

Die Konsequenz daraus ist, dass der häufigste Zustand, den es auf Trainingsplätzen in Deutschland und weiten Teilen der Welt zu beobachten gibt, unerfülltes Potential neben einem vom Kommerz erblindeten Trainer ist. Es ist die Aufgabe eines Trainers, aus jedem Spieler, unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit, das Beste herausholen zu wollen.

Diese Probleme sind übrigens nicht nur im Clubleben auffindbar. Auch in Akademien werden Spieler mit scheinbar weniger Potential mit weniger Einsatz trainiert als scheinbar aussichtsreichere Spieler.

Nun  werden  sie  sich  als  ambitionierter  Clubtrainer  wahrscheinlich  schon  seit  zwei  oder  drei
Absätzen fragen, was mit den Kindern ist, die keinerlei Einsatz zeigen und womöglich ein aufgedrehtes, eventuell sogar passiv-aggressives und einfach stÃöendes Verhalten an den Tag legen. Als ich erst seit kurzer Zeit dem Trainerberuf nachging, hatte ich ein Trainingskind, welches den Trainingsbetrieb in jeder erdenklichen Weise störte. Bälle durch die Gegend schlagen, andere Kinder ablenken, laut sein: das volle Programm. Ich redete immer wieder auf ihn ein, sagte ihm, wie schlecht er sich verhalten würde, setzte ihm Grenzen, indem ich ihn auf die Bank verwies und erzählte seinen Eltern von seinem Verhalten. Nach etwa drei Monaten übernahm ihn ein anderer Trainer, was mich zugegebenermaßen durchaus erleichterte. Ein paar Wochen später ging ich an seinem Platz vorbei, während er den Jungen trainierte. Ich schaute etwa zehn Minuten zu und war vollkommen perplex über das, was ich sah: Der Junge, der mir  drei Monate  lang jedes Training unheimlich  schwer gestaltete, verhielt sich ruhig, ausgeglichen und motiviert. Auf meine Frage hin, wie er das gemacht habe, antwortete sein neuer Trainer:

„Ich habe ihn nach jedem Training 2-3 Minuten lang gelobt.“

Womöglich sind Sie in diesem Moment genauso perplex, wie ich es damals war.

Es ist empirisch belegt, dass nervös-aufgedrehtes Verhalten bzw. im Extremfall passiv- aggressive Züge bei Kindern und Jugendlichen weniger ein Persönlichkeitsmerkmal als vielmehr ein Zeichen von niedrigem Selbstbewusstsein sind. Werden Sie sich darüber bewusst, was es bedeutet, wenn Sie einem Kind mit diesem Verhalten erzählen, wie schlecht es sich doch verhält. Das heißt selbstverständlich nicht, dass Sie dem Kind keine Grenzen setzen sollen, das ist sogar sehr wichtig. Aber mindestens ebenso wichtig ist es, das Selbstbewusstsein insbesondere dieser Kinder aufzubauen und entzieht Sie nicht ihrer Aufgabe, auch das volle Potential dieser Kinder entfalten zu wollen.
Das Beispiel der „schwierigen“ Kinder führt uns auch schon zum 2. Aspekt dieses Beitrages, nämlich der Verantwortung.

„Youth Sports isn`t just about sports. It`s about keeping the fun in the game and teaching your athletes lessons they can take with them in life.“

– Coach John Burns

Wenn ich aus einem Kind nicht versuche, das Beste herauszuholen (leistungstechnisch), dann stehle ich ihm zum einen sein Potential und zum anderen der Sportart, die wir alle lieben, seine volle Wirkung zu entfalten. Überlegen Sie sich nun einmal, was diese Sportart einem Heranwachsenden alles geben kann. In kaum einer Sportart kann man besser lernen, mit Niederlagen umzugehen, mit Tagen, an denen nicht alles so läuft, wie man es sich wünschen würde, klarzukommen, Emotionen zu regulieren, Verantwortung für sich und auch für andere zu übernehmen. Der Tennissport spiegelt sportliche Werte wieder wie Fair Play, Zielstrebigkeit, Selbstvertrauen und Integrität.

Lesetipp: Die Masalo Manschette

Wir als Trainer müssen verstehen, dass wir die Möglichkeit haben, Kindern und Jugendlichen Werte beizubringen, die ihnen im Leben behilflich sein können, und jeder Mensch, der diese Möglichkeit hat, auch die Verantwortung dazu hat. Wir können einem kleinen Jungen, der in der Schule gemobbt wird, Selbstvertrauen geben, wir können einem Mädchen, dessen Eltern sich haben scheiden lassen, einen Rückzugsort geben, an dem sie lernt, mit Rückschlägen umzugehen, wir können einem Heranwachsenden zeigen, dass er alles erreichen kann, wenn er hart dafür arbeitet und es ist unsere Pflicht das auch zu tun. Andernfalls sind wir keine Trainer, sondern sprechende Ballmaschinen: „Entert(r)ainer“.

Wir müssen dafür nicht wissen, was außerhalb des Tennisplatzes bei den Kindern passiert, aber wir müssen uns dieser Verantwortung bewusstwerden. Indem wir anfangen, das volle Potential eines jeden Kindes entfalten zu wollen, geben wir dem Tennissport die Möglichkeit, dem Kind das zu geben, was Kinder gerade in der heutigen Zeit – brauchen: Persönliche Werte, einen Rückzugsort, Ziele und Spaß und Selbstvertrauen. Zugegeben, die Verteilung dieser 5 Elemente sieht bei einem Heranwachsenden, für den der Leistungsfaktor im Vordergrund steht, anders aus. Doch sie werden mir zustimmen, wenn ich Ihnen sage, dass dies rein gar nichts mit der Verantwortung eines Trainers zu tun hat.

Als ich mein Buch „Die Tennis Bibel“ (kein Beitrag ohne Werbung) veröffentlichte, wollte ich damit erreichen, dass Trainer damit anfangen, ihre sportspezifischen Methoden und deren Wirksamkeit zu hinterfragen, sich nicht auf ihrem bereits erworbenen Wissen auszuruhen und bereit zu sein, umzudenken. Die Erweiterung des Fachwissens auf allen Ebenen des Spiels ist die Grundlage der Verantwortung eines Trainers. Gepaart mit der persönlichen Umsetzung dieser Verantwortung gegenüber jedem Spieler ergibt dies für mich das, was wir alle einmal sein wollten: Einen Trainer.

Jeder, der einen Beitrag zu dieser Sportart leistet, sei es der Betreiber dieses Blogs, der Trainer, der sich fortzubilden versucht oder der Elternteil, der sich ein Buch über Tennis kauft, hilft nicht nur dabei, den Sport weiterzuentwickeln und zu professionalisieren, sondern nimmt auch einen gar nicht so minimalen Einfluss auf das Leben von allen Jugendlichen, die diesen Sport – egal auf welchem Level – betreiben.

Niklas Grimm

Niklas Grimm ist Autor des Buches "Die Tennis Bibel" und steht für #umdenken. Sein Buch zeigt das Tennisspiel aus einer vollkommen neuen, erfrischenden Sichtweise.

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